02.10.2007 (Dienstag)
Am 2. Oktober 2007, einem Dienstag, stehe ich also tatsächlich morgens um 11 Uhr bei mildem Oktober-Sonnenschein mit schwerem Rucksack und Pilgerstab am ZOB (Zentraler Omnibus Bahnhof) in Stuttgart und warte auf den Bus, der mich nach Spanien bringen soll. Ich kann’s noch gar nicht glauben.
Der Abschied von zuhause war (in meiner Erinnerung) unspektakulär. Die beiden Kinder waren zu dieser Zeit in der Schule und im Kindergarten; von ihnen verabschiedete ich mich, als sie am Morgen das Haus verließen. Clara, damals erst fünf Jahre alt, hatten wir meine bevorstehende lange Abwesenheit damit erklärt, dass ich eine sehr lange Wanderung machen würde. Dorthin, wo das Land zu Ende ist und das Meer beginnt. Also praktisch ans Ende der Welt. Was ja insofern stimmte, als dass hinter Santiago de Compostela der Weg bis ans Kap Finisterre (Cabo Fisterra) weiter geht.
Im 11. Jahrhundert, als der Jakobsweg populär wurde, war dort das westliche Ende der bekannten Welt. Sicher hatte Clara keine wirkliche Vorstellung von „Papa geht ans Ende der Welt“ , aber sie hat sehr ehrfürchtig geschaut. 🙂
Mit Astrid hatte ich abgemacht, dass ich immer abends um 19:00 Uhr für eine halbe Stunde das (Tasten-)Handy einschalten würde, um erreichbar zu sein falls erforderlich. Ansonsten würden wir per Email Kontakt halten. In vielen Pilger-Herbergen stehen dafür Computer zur Verfügung. Das internetfähige Smartphone war gerade erst erfunden und ich hatte noch (lange) keines. 😉
Der „long walk to Santiago“ beginnt für mich mit 25 Minuten Busverspätung in Stuttgart am ZOB, der damals noch direkt neben dem altehrwürdigen Stuttgarter Hauptbahnhof (dem Bonatzbau) liegt. Die Schlagzeilen produzierenden Proteste gegen den Abriss des denkmalgeschützten Kopfbahnhofs und den Bau der (in jeder Beziehung) unterirdischen Haltestelle „Stuttgart 21“ liegen noch in der Zukunft (2010 ff), obgleich es auch damals bereits Widerstand dagegen und vereinzelt große Proteste gab, aber eben nicht so medial präsent. Im Jahr 2011 wird an der Stelle des ZOB für die nächsten 12 Jahre (bis 2023) das sogenannte Grundwasser-(Miss)Management des unsäglichen Immobilienprojekts errichtet.
Aber zurück zum Jakobsweg.
Ich möchte auf der französischen Seite der nördlichen Pyrenäen im Ort Saint-Jean-Pied-de-Port in den Jakobsweg einsteigen und gleich zu Beginn die Pyrenäen überqueren. Für die Anreise habe ich den Bus als Reisemittel gewählt, weil das zu jener Zeit am kostengünstigsten war.
Der Bus fährt schließlich gegen 11:35 Uhr in Stuttgart ab. Über einen kurzen Halt in Pforzheim, an Karlsruhe vorbei, geht es weiter zu einem Autobahn-Rasthof bei Hockenheim. Hier macht der Busfahrer eine Mittagspause von 45 Minuten. In Mannheim steigt später ein weiterer deutscher Fahrgast zu, alle anderen Mitreisenden scheinen Portugiesen auf der Reise in die Heimat zu sein.
Ab Kaiserslautern läuft auf dem TV-Bildschirm im Bus „Mr. Bean“. Nachmittags gegen 16:20 Uhr stecken wir in Frankreich kurz vor einem Autobahnkreuz (Abzweigung nach Paris) 45 Minuten in einem Stau, der durch einen Unfall mit einem LKW verursacht war.
Zur weiteren Unterhaltung der Fahrgäste läuft später drinnen im Bus die DVD eines alten Kriegsschiff-Schinkens der zu Napoleons Zeiten spielt, während der Bus durch die ehemaligen Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs bei Verdun rollt. Sehr passend.
Irgendwann wird es draußen dunkel und ich lerne Frankreich bei Nacht durch ein Busfenster kennen. Es ist nicht aufregend genug, um nicht einzuschlafen. 😉
Dazu fällt mir noch was zum Schmunzeln ein:
Günther Oettinger (CDU, Ex-Ministerpräsident von Baden-Württemberg) hat ja zu der Zeit, als der Streit um „Stuttgart 21“ noch die Republik beschäftigte, bei einer Veranstaltung mit Boris Palmer (damals bei den Grünen) im Audimax der Uni Freiburg am 20.11.2011 – eine Woche vor der damaligen Volksabstimmung – behauptet, dass westlich von Paris keine Menschen leben und damit für heftige Lacher gesorgt. – Video 🙂
Vielleicht war auch er mal nachts hier, im CDU-Bus westlich von Paris, und alles war rabenschwarz. 😊
Gepilgerte Strecke: 0 km


