03.10.2007 (Mittwoch)

Zuhause ist heute Feiertag. Tag der Deutschen Einheit. Ich sitze in tiefer Nacht in einem Bus, der durch Frankreich in Richtung Spanien rollt. Was mache ich hier ? – Ach ja, der Jakobsweg …. 😉

Es ist 1:40 Uhr in der Nacht, als ich bei einer Pause den zweiten Busfahrer anspreche, da ich gerne in Bayonne – also noch vor der spanischen Grenze – aussteigen würde, statt erst in San Sebastian. Das ist zwar kein regulärer Halt, er sagt mir aber zu mich raus zu lassen, wenn ich ihm Bescheid sage sobald wir dort sind.

Ich schlafe ein, wache aber immer wieder an Mautstellen auf. Und dann wache erneut auf, als der Bus gerade an Bayonne vorbei ist. 🙁 Der Bus hat nicht angehalten, der zweite Busfahrer schläft ebenfalls.

Es regnet und ist noch dunkel. Da beschließe ich, nun eben doch einfach bis San Sebastian sitzen zu bleiben. Hier drinnen ist es wenigstens trocken. 🙂

Ich werde also mit dem Zug von San Sebastian (baskisch: Donostia) über die Grenze nach Bayonne zurückfahren müssen, und dort in den Zug nach Saint-Jean-Pied-de-Port am Fuße der Pyrenäen steigen. Dort wird meine Pilgerreise zu Fuß beginnen.

zweiter Teil der Bus-Strecke bis San Sebastian und (blau) die anschließende Bahnfahrt – (raw Map by OpenStreetMap.org)

Als es grade so hell ist, wohl so gegen 7 Uhr, steige ich nach rund 20-stündiger Busfahrt am Hauptbahnhof von San Sebastian aus dem Bus. Als ich mich erkundige wann der nächste Zug nach Bayonne geht erfahre ich, dass ich zwar zur rechten Zeit (der Zug fährt in Kürze) aber am falschen Bahnhof bin. Ich muss zum anderen Bahnhof (Amara), der etwa einen Kilometer entfernt ist, laufen.

Bis ich dort ankomme, werde ich aber den Zug verpasst haben und auf den nächsten warten müssen. Und ach ja, ich muss die Uhrzeit um eine Stunde weiter stellen. Also doch nicht zur rechten Zeit hier, sondern eher zu spät. 🙁

Also erst mal zum richtigen Bahnhof laufen, Erkundigungen einziehen und dann gibt’s Frühstück an der Bar Iruña direkt am Bahnhof Amara. Weiter geht für mich die Reise von hier erst um 9:15 Uhr zum Grenzbahnhof Hendaye, wo ich umsteigen muss in einen Zug nach Bayonne. Dort habe ich ca. 45 Minuten Aufenthalt und werde daher erst um 13:16 Uhr in Saint-Jean-Pied-de-Port sein. So geht mir leider schon mal ein halber Tag verloren.

Aber so ist das jetzt eben und ich werde mich hier und jetzt nicht selbst hetzen. Schließlich bin ich hier, um der Hetze, der Eile, dem Stress zu entfliehen und für mich einen neuen Rhythmus zu finden. Und um zu mir selbst zurück zu finden.

Bahnhof Amara in San Sebastian, morgens um ca. 8:43 Uhr 😉 – (siehe Bahnhofsuhr)

So habe ich also erst einmal etwas Zeit um ein wenig in der langsam erwachenden Stadt umher zu schlendern. Kleine Kinder schauen mich ehrfurchtsvoll an, wenn sie mich mit den Wanderschuhen, dem Rucksack und natürlich dem Pilgerstock sehen. Ich steige auf einen nahen Hügel und genieße von dort die Aussicht über die Stadt. Hier befindet sich eine Schule und eine Kirche. Nach einem kurzen Gebet zu Beginn meiner Pilgerreise steige ich wieder hinunter und begebe mich zum Bahnhof. Ich versorge mich in einem der eben öffnenden Läden mit etwas Brot und Wasser, dann kann es von mir aus los gehen.

Am Bahnhof Hendaye hat der TGV nach Paris, der mich nach Bayonne bringen soll, 15 Minuten Verspätung. Beiderseits der Grenze sind die Beschriftungen der Wegweiser und Hinweis-Schilder in baskischer Sprache gehalten. Sie wirken sehr fremd auf mich. Es handelt sich beim Baskischen um eine eigenständige (isolierte) Sprache, die mit keiner anderen Sprache verwandt ist. Interessant.

Hendaye: der TGV nach Paris hatte Verspätung, aber er kam

In der Gegend von Biarritz fährt der Zug durch eine Landschaft, die mich fast an Deutschland erinnert. Wiesen, Wald, Maisfelder. Biarritz selbst gefällt durch schöne nette Häuser. In Bayonne stehe ich auf der französischen Seite dieses Teils der Pyrenäen. Ein Sendemast zeigt mir, wo ungefähr der Pass ist, über den ich morgen wandern werde.

Von 11:16 bis 12:03 Uhr habe ich Aufenthalt in Bayonne und ich nutze die Zeit um einen Abstecher über den Fluss L’Adour in die Altstadt Grand Bayonne zu machen. Ich begebe mich zuerst zur schönen Kathedrale Saint Marie und von dort am Schloss Chateau Vieux vorbei wieder zurück zur Esplanade Échauguette bei der Brücke, über die ich wieder zurück zum Bahnhof im Stadtteil Saint Esprit gelange.

Das Wetter ist bewölkt und leicht schwül. Ich besorge mir noch etwas Obst und eine große Flasche Wasser, ehe ein uralter Zug mich und andere Pilger langsam und vom Schlagen der defekten Toilettentür begleitet, in die Bergwelt der Pyrenäen entführt.

Ab etwa 500 m Höhe hängen Wolken, darunter ist es schön. Die Fahrt führt entlang der Nive, eines kleinen Flusses mit ausgewaschenen Flusssteinen und Brückenresten. Es könnte sich auch um eine ehemalige eiszeitliche Gletscherzone handeln. Wahrscheinlicher ist, dass die Auswaschungen von der jährlichen Schneeschmelze stammen.

Um 13:16 Uhr kommt der Zug pünktlich in Saint-Jean-Pied-de-Port, der Endstation dieser Bahnstrecke an. Und das ist auch der Ort, an dem für mich der spanische Jakobsweg (der immerzu als Camino Francés bezeichnet wird) beginnt. Das malerische kleine Städtchen am Flüsschen Nive liegt auf etwa 180 m Höhe, also noch nicht wirklich hoch.

Ich begebe mich vom Bahnhof durch das Stadttor Porte-de-France in das Stadtzentrum. Das Pilgerbüro hat noch geschlossen, ebenso das Tourist Office. Beides öffnet erst um 14 Uhr. Im Pilgerbüro kann man sich namentlich als Pilger eintragen und ist somit offiziell dokumentiert. Außerdem gibt es hier diverse Informationen über den Verlauf des Weges, sowie ein aktuelles Herbergsverzeichnis.

Um die Zeit zu überbrücken gehe ich die Rue de la Citadelle den Berg hinauf, verlasse den Ort durch ein anderes Tor (Porte St. Jaques) um die Zitadelle zu besichtigen. Es ist neblig und es nieselt, die Aussicht ist daher nicht besonders. Nach dem anschließenden Eintrag im Pilgerbüro suche ich noch rasch nach einigen Postkarten und den passenden Marken für Auslandspost und setze mich damit in ein Café um die ersten Postkarten nach Hause zu schreiben.

Als der Café-au-Lait ausgetrunken ist, werfe ich die Karten ein und mache mich endlich auf den Weg. Vor mir liegen etwa 780 km bis nach Santiago de Compostela, die ich allerdings aus Zeitgründen nicht komplett wandern kann. Dafür wären etwa sechs Wochen nötig. Für zwei Abschnitte werde ich deshalb den Zug nehmen. Zum Ende hin möchte ich aber unbedingt einen möglichst langen Abschnitt am Stück zu Fuß unterwegs sein.

Es ist inzwischen 15 Uhr und ich verlasse Saint-Jean-Pied-de-Port durch die Porte d’Espagne, das spanische Tor und folge auf dem Asphalt der Rue Napoléon in die Natur hinaus.

Da es schon spät geworden ist und das Wetter nicht so toll ist, habe ich in einer der ersten Unterkünfte – der Fermé Ithurburia in Huntto – telefonisch reserviert. Nach einer Weile beginnt es zu regnen. Ich packe die Regenjacke aus und ziehe den Regenschutz über den Rucksack. Es sind nur etwa 5 km und 300 Höhenmeter zu bewältigen, die Fermé liegt auf etwa 490 m Höhe. Entlang des Weges liegen regelrechte Farnwälder, sagenhaft.

Kurz vor Huntto überhole ich ein kanadisches Pärchen, Janet und Jeff, die im Regen noch etwa 2 km weiter zur Herberge Orisson auf 770 m Höhe müssen. Ich bin froh bereits fast am Tagesziel zu sein.

Mein Wanderstab – oder Pilgerstab – den ich aus Deutschland mitgebracht habe, leistet beim Aufstieg bereits gute Dienste. Aber ich hätte ihn schon zweimal fast vergessen, wenn ich in Läden oder auch im Pilgerbüro war. – Aufpassen, Peter !

Gegen 16:45 Uhr kommen ein Philipp aus Frankreich und ich als erste Gäste auf der Fermé Ithurburia in Huntto an. Ein einfaches Zwei-Bett-Zimmer mit Balkon erwartet mich. Eine warme Dusche ist jetzt klasse.

Wolken hüllen draußen alles ein, man hat kaum Sicht und es geht ein kühler Wind. Absolute Ruhe. Vom Balkon des Zimmers ist nur Schafsgeblök und die Glöckchen der Tiere zu hören. Um 19:30 Uhr soll es Abendessen geben, ich bin gespannt und hungrig.

In einer netten kleinen Runde sitzen dann ab 19:30 Uhr vier Pilger (Philipp, ca. 30, Franzose; Adriana, um die 50, aus Neuseeland; Leon, ca. 40, aus Holland und ich) mit der Wirtsfamilie zusammen an einer Tafel beim leckeren Abendmahl, bestehend aus Suppe, Koteletts, Omelette und Käse. Dazu vorweg ein Aperitivo, gefolgt von einem schweren spanischen Rotwein (Tinto !) aus der Karaffe zum beliebigen Nachschenken. 😉

Es wird sich auf Französisch und Englisch unterhalten über Herkunft und weshalb man hier ist, was man sich davon erhofft, wie lange man sich Zeit dafür genommen hat und andere Dinge. Zum Nachtisch gibt’s noch leckeres Eis. Das kann man sich schon mal gönnen.

Auf diese Weise sehr gut gestärkt blicke ich nach dem Essen nochmal vom Balkon. Es hat etwas aufgeklart, Lichter sind im Tal zu sehen, am Himmel sind jedoch nur wenige Sterne zu erkennen. Käuzchen rufen durch die Nacht, sonst ist es still. Gute Nacht.

die ersten 5 Pilger-Kilometer – (raw Map by OpenStreetMap.org)

Gepilgerte Strecke: 5 km

Tag 2 – Ankunft und erste Schritte

Beitragsnavigation


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert