07.10.2007 (Sonntag)

Ich öffne die Augen. Keine Ahnung wie spät es ist, aber es ist noch dunkel.
Wieder gilt die Gleichung: Wecken = Licht an!

Ich stehe auf und führe eine kleine Katzenwäsche durch (mehrfach kaltes Wasser ins Gesicht). Es hat gewisse Vorteile, wenn auch das große Geschäft des Tages gleich am Morgen erledigt werden kann, weil unterwegs und abseits aller Siedlungen manchmal länger keine Bedürfnisanstalten zu finden sind. Dann bleibt nur das Gebüsch.

Noch im Dunkeln gehe ich (schon wieder) ohne Frühstück los. Es ist feucht-neblig. Mich erwartet mit rund 30 Kilometern die bisher längste Etappe. Ich schreite flott voran und ich vermisse meinen Stock nicht wirklich, halte aber dennoch Ausschau, ob sich nicht irgendwo entlang des Weges ein geeignetes Stück finden lässt. Schließlich zerre ich etwas abseits einen halbwegs passablen Stock hervor.

Die Wegeführung aus Burgos hinaus ist etwas wirr und erfordert genaues Hinschauen um keine Wegweiser zu übersehen. Nach etwa einer Stunde treffe ich Alex, einen Kanadier, der sich im Gewirr der Wege entlang der Ausfallstraßen, sowie drunter hindurch, irgendwie verlaufen hatte. Von der anderen Straßenseite ruft er mir winkend zu: „How did you get there?“.
Ich antworte lächelnd: „I just followed the signs!“ – Was ja auch stimmt. 🙂

Das nächste Stück gehen wir zusammen und im Örtchen Tardajos lassen wir uns an einer Bar zum Frühstück nieder. Es ist zwar heller geworden, aber noch immer liegt zäher Morgennebel über der Landschaft, der sich erst allmählich hebt.

Im nächsten Ort, Rabé de las Calzadas, steht eine begrünte und eingezäunte kleine Insel recht markant mitten auf der zentralen Wegekreuzung im Ort. Der Blick fällt auf alte Steinhäuser und die Kirche.

Kirche und zentraler Platz von Rabé de las Calzadas

Wenig später liegt rechts vom Weg in einem kleinen, Schatten spendenden Baumbestand die Quelle von Praotorre. Offiziell steht an allen Quellen, dass es kein Trinkwasser ist. Ich habe mich aber an allen Quellen entlang des Weges immer wieder mit Wasser versorgt und hatte keinerlei Probleme dadurch.

Es ist (noch) nicht so heiß wie vorhergesagt, aber das ist ja zum Wandern ganz angenehm. Nach vier Stunden und etwa 21 Kilometern kommt hinter einer Anhöhe der Ort Hornillos del Camino in Sicht.

in der Ferne liegen die Häuser von Hornillos del Camino im Dunst

Hier machen wir (Alex und ich) gemeinsam Rast. Es ist erst 12:30 Uhr und ich bin erstaunt, bereits am Vormittag so weit gekommen zu sein. Ich fühle mich, als könnte ich locker nochmal 20 Kilometer zurücklegen.

Doch nun liegen zehn schattenlose Kilometer bis Hontanas vor uns und die Sonne steht jetzt hoch am blauen Himmel und gibt all ihre Energie ab. Der Weg führt zwischen braunen, trockenen und abgeernteten Weizenfeldern hindurch. Es gibt kaum Grün, keinen Baum, keinen Busch. Weit und breit kein Haus und keinen Hof. Nur hier und da ein paar Strommasten, deren Stromleitungen irgendwo hinführen müssen. Zwischendurch mache ich nochmal kurz Pause, um ein wenig Brot und Käse zu essen. Alex will nur etwas Käse.

Nun spüre ich auch langsam meine Beine und Füße und beschließe, daß in Hontanas Schluß sein soll für heute. Auch Alex hat mehr als genug. Für ihn ist heute die erste Etappe und er ist noch nie im Leben mehr als 20 Kilometer zu Fuß gegangen. Der Weg zieht sich wie Gummi durch den Nachmittag und die stille Landschaft. Weit und breit ist noch immer kein Ort zu sehen.

Gerade als ich mich zu fragen beginne, ob Hontanas überhaupt existiert, taucht ganz unvermittelt aus dem Boden die Kuppel einer Kirchturmspitze auf. Plötzlich ist Hontanas ganz nah. Es liegt direkt vor uns in einer tiefen Senke und der Weg führt nun steil hinab direkt in den Ort hinein, der sich vor uns ausbreitet. Wir sind sehr froh, daß er doch existiert. 🙂

Hontanas taucht unvermittelt aus dem Boden auf

Die ersten Häuser scheinen schon bessere Zeiten gesehen zu haben. Viel Verfall und Leerstand ist zu sehen. Aber dank der Pilger scheint sich das gerade allmählich zu ändern. Überhaupt scheint sich entlang des Weges ein gewisser Wohlstand zu entwickeln, was sich durch Bautätigkeit und Restaurationen zeigt.

Die erste Herberge liegt zur Rechten und heißt „El Puntido“. Es ist eine privat geführte Herberge, die uns gemütlich erscheint. Wir checken ohne große Umstände sofort ein. Alex ist erst nicht so begeistert, als er das 11-Bett-Zimmer sieht, aber dann ist es doch O.K. für ihn.

Herberge El Puntido

Alex arbeitet im Kulturministerium der kanadischen Regierung und hat Europa schon öfter besucht. Er kennt sich recht gut aus und schwärmt von der Kathedrale in Burgos. Er meint auch zu wissen, dass Burgos im Jahr 2016 Kulturhauptstadt Europas sein wird (das scheint aber dann doch anders gekommen zu sein, es war stattdessen San Sebastián). Jetzt bedaure ich es doch ein wenig, mir am Morgen nicht noch Zeit für Burgos und die Kathedrale bei Tageslicht genommen habe. – Naja, schon passé.

Die freundliche Wirtin fragt uns, ob wir Wäsche zu waschen haben. Sie sammelt dann alles ein was wir ihr geben und füllt damit (und der Wäsche anderer Gäste) die Waschmaschine. Wir haben große Zweifel, ob und wie wir unsere Sachen wieder bekommen und nicht andere, die uns gar nicht gehören.

Zwischen duschen und Abendessen durchwandere ich die Gassen von Hontanas und entdecke hier und da doch Spuren von Leben in den unzähligen unbewohnt erscheinenden Häusern. Besonders viel geflügeltes Leben sitzt auf der Kuppel der Kirche. Eine ganze Legion Vögel.

Fliegen waren heute tagsüber in der Meseta und jetzt auch hier im Ort am Abend eine nervige Plage. Aber für die Vögel auf der Kirchenkuppel sind die nervigen Biester Nahrungsgrundlage und Leckerbissen. Haut rein ihr Lieben!

Es ist aber schon ein sehr armes Nest. Ohne den Strom der Pilger wäre der Ort wohl verloren. Es gibt mehr kaputte als intakte Häuser und höchstens zwei oder drei landwirtschaftliche Betriebe, die noch arbeiten.

Unser Abendessen bestand aus einem kräftigenden 3-Gänge Pilgermenü und reichlich Wein dazu. Und das alles für nur 8,50 Euro. Dazu hatte ich eine gute und interessante Unterhaltung mit Alex. Sein Hobby ist es, Konflikte zu managen. Nun, an Gelegenheiten besteht da bis zum jüngsten Gericht sicher kein Mangel.  😉

Als wir später aufs Zimmer gehen, liegen auf unseren Betten unsere frisch gewaschenen und getrockneten Sachen. Alles sauber gefaltet, richtig zugeordnet und vollständig. Die Frau muss ein fantastisches Gedächtnis haben. Wir sind jedenfalls schwer beeindruckt.

Verlauf der heute gepilgerten Strecke – (raw Map by OpenStreetMap.org)

Heute gepilgerte Strecke: 31 km – (insgesamt 101 km gepilgert)

Tag 6 – Von Burgos nach Hontanas in die Meseta

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