06.10.2007 (Samstag)

Im gefühlten Morgengrauen um etwa 7:30 Uhr trete ich bei Nieselregen vor die Herberge und mache mich auf den Weg. Wieder ohne Frühstück, da es in der Herberge und im Ort eben nichts gibt. Nada.
Die nächste Gelegenheit zur Nahrungsaufnahme ist Trinidad de Arre. Dorthin sind es etwa 10 Kilometer, also rund zwei Stunden.

Matschig, immer wieder matschig, zieht sich der Weg dahin und in die Länge. Ich bin hungrig und versuche, mich mit der Aussicht auf ein tolles Frühstück zum Voranschreiten zu motivieren.

Als ich endlich Trinidad de Arre betrete, bin ich angetan von dem Bild das sich mir bietet. Der kleine Ort, der eigentlich nur aus einer mittelalterlichen Brücke über den Rio Arga und ein paar Häusern besteht, ist geschmückt zu ehren der heiligen Jungfrau Maria vom Rosenkranz (Maria Rosaria), deren Fest hier am ersten Oktobersonntag gefeiert wird. Also morgen.

mittelalterliche Brücke über den Rio Arga in Trinidad de Arre

In der Bar gegenüber der Kirche nehme ich mein wohlverdientes Frühstück ein. Ich bestelle mir zwei Bocadillos (spanische belegte Brote) und ein Schinken-Ei Omelette, dazu trinke ich zwei Tassen Café con leche. Das tut gut.

Außer mir sind auch noch andere Deutsche dort. Sogar Schwaben. Die sind einfach überall.  😉

Während ich da so sitze und frühstücke kommen nacheinander immer mehr Pilgernde.

Der weitere Weg führt nun auf der Straße durch die Vororte Villava-Atarrabia und Burlada.
Am Ende von Burlada stehe ich dann plötzlich im Grünen und vor der markanten Brücke Puente de la Magdalena, über die ich erneut den Arga überschreite und dann durch die altehrwürdigen Stadtmauern der oberen Altstadt nach Pamplona hinauf und hinein gelange.

Es ist Mittagszeit und die Stadt ist sehr belebt an diesem Samstag vor den Feierlichkeiten zu ehren der heiligen Jungfrau Maria vom Rosenkranz (Maria Rosaria), die auch hier begangen werden. Und so kurz vor der Siesta werden noch schnell alle wichtigen Besorgungen gemacht.

Pamplona ist die größte Stadt am Jakobsweg, am Camino Francés, und ihr baskischer Name ist Iruña.
Sie ist vor allem für traditionelle Festivitäten wie den Sanfermines vom 6. bis 14. Juli bekannt, deren Hauptattraktion die Stierläufe (Encierros) – und natürlich die Stierkämpfe – sind. Beides ist heute nicht nur bei Tierschützern umstritten.

Ich hatte mir eine Zugverbindung von Pamplona nach Burgos um 12:36 Uhr rausgesucht, die ist nun aber schon weg. Deshalb beeile ich mich nicht weiter, sondern laufe der Nase nach durch die Straßen und über diverse Plätze, auch über die Plaza del Castillo. Nebenbei kaufe ich etwas Verpflegung ein. Irgendwann frage ich einen Polizisten nach dem Weg zum Bahnhof. Leider verstehe ich nicht, was er mir sagen will.

In der Tourist-Info werfe ich einen Blick auf den Stadtplan, dabei realisiere ich, dass es ein ganzes Stück Weg ist zu Fuß bis zum Bahnhof. Also mache ich mich auf den Weg dorthin. Am Bahnhof treffe ich Sybille wieder. Sie ist froh es bis hierher geschafft zu haben, denn sie hat starke Hüftschmerzen.

Ich kaufe mir ein Ticket für den Zug um 16:37 Uhr über Vitoria-Gasteiz nach Burgos.
Sybille will denselben Zug nehmen, aber nur bis Vitoria-Gasteiz fahren. Morgen will sie dann von dort nach Santiago de Compostela und weiter ans Meer fahren, da sie schon in einer Woche wieder zurück in der Schweiz sein muß (in Basel).

Wir verbringen die zweieinhalb Stunden bis der Zug fährt gemeinsam und fahren mit dem Taxi nochmal zusammen in die Stadt zurück. Dort verbringen wir Café con leche trinkend und redend gemeinsam eine gute Zeit. Im Zug haben wir später nochmal eineinviertel Stunden gemeinsame Zeit, ehe wir uns in Vitoria-Gasteiz verabschieden müssen.

Dieser Abschied ist irgendwie schade. Die kurze Zeit hat mir gereicht, um Sybille irgendwie lieb zu gewinnen, ihre Gesellschaft angenehm zu empfinden, obwohl ich ja eigentlich allein sein wollte. Schon komisch: Jetzt habe ich hier ein Thema mit „loslassen“ einer praktisch fremden Person, die ich ja nur oberflächlich kennengelernt habe. – Was will mir das sagen?

Jetzt erst bemerke ich, dass mir nicht nur Sybille, sondern auch mein Stock fehlt. Ich habe ihn in Pamplona am Bahnsteigcafé stehen lassen, dort hatte ich ihn an die Wand gelehnt. Beim inzwischen dritten Mal war es nun also soweit, ich lasse meinen Wanderstock, meinen Pilgerstab stehen. 🙁
Das hat was symbolisches, denn der Stab ist in gewisser Weise sowohl eine Hilfe (besonders bei Steigungen) aber auch eine Stütze, wenn man mal ’ne Pause braucht. Aber vielleicht will mir das auch sagen, dass ich mich auf meine zwei Füße und Beine verlassen kann bzw. konzentrieren soll.

Was mir nun auch seltsam schmerzlich bewusst wird ist, dass jetzt wirklich „alle weg“ sind. Ich hatte die letzten Tage eine kleine Anzahl Menschen kennen gelernt, mit denen ich in gewisser Weise auf dem Weg „verbunden“ war. – Weggefährten.

Zwar bin ich tagsüber meist allein gewesen, aber am Abend fand man sich auf wundersame Weise wieder in einer angenehmen Gemeinschaft. Durch das Auflösen dieser sehr lockeren Gemeinschaft stellt sich bei mir jetzt so etwas wie ein Verlustgefühl ein. Seltsam. Das beschäftigt mich noch länger.


Wie dem auch sei, mit der Bahnfahrt überspringe ich jetzt eine Strecke von etwa 210 Kilometern. Ich lasse Navarra hinter mir und überspringe La Rioja (und auch dessen Weinanbaugebiete!) und tauche ins spanische Herzland Kastilien-León ein. – Und ab Burgos liegen sicher neue Begegnungen vor mir. 🙂

Ich habe zu Beginn mal erwähnt, dass ich mir bei der Lektüre von Hape Kerkelings Buch Ich bin dann mal weg ein paar Abschnitte als für mich unbedingt wichtig auserwählt hatte.

Der erste dieser Abschnitte war das inzwischen hinter mir liegende Überschreiten der Pyrenäen.

Der zweite, noch wichtigere Abschnitt, ist die Landschaft hinter Burgos. Hier handelt es sich um die fast topfebenen Hochflächen des zentralen kastilischen Hochlandes auf der iberischen Halbinsel. Immer wieder unterbrochen von kurzen, steilen Senken, bilden sie eine schattenlose, fast baumlose Landschaft von größtenteils Kornfeldern, die sogenannten Mesetas.

Hape’s Schilderung dieser Monotonie, dieser Abwesenheit von Außenreizen übte beim Lesen schon große Faszination auf mich aus und ich dachte mir: Das brauch ich. – Das ist gut, um mich mit mir selbst zu befassen.


Nun rauscht der Zug bereits durch die Ausläufer dieser Meseta-Landschaft und durch die Region Kastilien-León. Das Wetter soll in den nächsten Tagen besser werden. Sonnig, sogar richtig heiß könnte es werden. Die Bahnreise im Zug der (staatlichen!) spanischen Bahngesellschaft Renfe ist sehr angenehm. Es sind modernere und bequemere Wagen als ich sie von der Deutschen Bahn kenne. 😉

Ich nehme mir vor, Burgos nach der Ankunft am Abend und eventuell morgen früh bei Tageslicht im Schnelldurchgang anzuschauen. Ich checke rasch in der Herberge ein (damals ein Flachbau außerhalb des Stadtzentrums) und begebe mich dann frisch geduscht ins Zentrum. Ich habe wenig Zeit zur Verfügung, da die Herberge ja schon um 22 Uhr schließt. – In Spanien fängt da das Leben auf der Straße erst an!

Es ist fast dunkel als ich im Zentrum ankomme und die Menschen strömen so langsam auf die Straßen, überall stehen Stehtische und Gruppen von laut und fröhlich schwatzender Menschen sammeln sich darum. Ich begebe mich hinauf zu der wuchtigen, etwas oberhalb der Altstadt stehenden Kathedrale, wo gerade ein Hochzeitspaar seine Fotosession abhält. Die Kathedrale gibt ein stimmungsvolles Motiv ab, mit ihrer nächtlichen Beleuchtung. – Und der Hochzeits-Fotograf hat sicher eine besser für Nachtaufnahmen geeignete Kamera als ich. 😉

Auf dem Rückweg durch die Gassen schaffe ich es trotz des Andrangs, mir an einer Bar ein Glas Wein und ein Brot mit überbackenem Schinken zu besorgen. Das schmeckt richtig lecker und ich genieße es deshalb besonders. – Leider muss ich mich schon bald auf den Weg zurück zur Herberge machen. 🙁

Irgendwie schade, dass man als Pilger durch die Schließzeiten der Herbergen vom (Nacht)Leben der Einheimischen weitgehend getrennt ist. Zumindest wenn man in kirchlichen oder kommunalen Herbergen nächtigt. Aber der Pilger braucht ja auch seinen Schlaf zur körperlichen Regeneration. 🙂

In der Herberge ist schon jetzt um 22 Uhr die Luft richtig stickig und übel. Vielfältiges Schnarchen erfüllt die dicke Luft. Überhaupt ist es selbst im Vergleich zum Massenquartier von Roncesvalles eine üble Herberge (*), lange nicht so gut wie in meinem Buch (Reiseführer) beschrieben.

(*) inzwischen (seit 2008) ist die kommunale Herberge in einem historischen Gebäude in der Nähe der
Kathedrale untergebracht und gilt als eine der sehr guten Herbergen. – Ich war also ein Jahr zu früh dort.
Vielleicht sollte ich den Weg noch einmal gehen?  🙂

Verlauf der heute gepilgerten (und gefahrenen) Strecken – (raw Map by OpenStreetMap.org)

Heute gepilgerte Strecke: 17 km – (insgesamt 70 km gepilgert) – und 210 km mit der Bahn gereist

Tag 5 – Von Larrasoaña über Pamplona nach Burgos

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